Schon wieder auf dem Rückweg zum Auto nach einem weiteren Kunstnachmittag spricht mich eine Dame an und fragt: „Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen ein Geschenk machen?“ Ich stutze, schaue sie an. Sie wirkt nicht so, als ob sie mir danach doch etwas verkaufen wollte. Sie reicht mir eine weiße Streichholzschachtel, auf der die Worte „on“ und „tra“ stehen und die Nummer 958/2000. Dann erklärt sie mir, dass im Innern eine Web-Adresse steht, auf der ich erfahren könne, worum es in dem Projekt geht, was es mit „Hommage an V.v.G.“ auf sich habe, das auf der Seite der Schachtel aufgedruckt ist. Und was die drei Kerne im Innern der Schachtel sollen.
Ich bedanke mich, nehme die Schachtel und gehe. Dann kehre ich aber doch zurück, offenbare, dass ich für die NHR schreibe und bitte sie um mehr Informationen. Glücklicherweise ist der Künstler in der Nähe, und so komme ich in ein angeregtes Gespräch mit ihm.
Vernetzung statt Präsenz
Herr Hellmann kommt auch sofort auf den Kern zu sprechen: Warum kann man von den vielen Millionen, die so eine Ausstellung kostet, nicht einfach nur eine Million nehmen und im Fridericianum einen Erlebnisraum einrichten, in dem per Bildübertragung Kunstwerke aus aller Welt jedem Besucher gezeigt werden? Die inzwischen recht gut vernetzte Welt würde die Infrastruktur dazu liefern, und mit dem gesparten Geld könnte viel Gutes getan werden.
Er führt weiter aus, dass im Grunde die gesamte Erde der Kunstraum ist, und dass der Betrachter, wie Marcel Duchamp schon 1910 bemerkte, das Kunstwerk erst wirklich vollendet.
Kontext
Ich erfahre nun auch, was es mit den Sonnenblumenkernen auf sich hat. Die Initialen „V.v.G.“ stehen für Vincent van Gogh, und die drei Sonnenblumenkerne sollen den Bogen zu dessen Sonnenblumenbildern schlagen. Hier hat Herr Hellmann, einem verbreiteten Prinzip in der Kunst folgend, einen Gegenstand aus seinem Kontext herausgenommen, um ihn in einem anderen Kontext (der Schachtel) mit einer anderen Aussage zu verbinden. Gleiches geschehe mit dem Schrotthaufen (Momentary Monument IV von Lara Favaretto), erklärt er.
Tu etwas, statt nur zu konsumieren!
Wir waren uns einig, dass wohl eine ganze Reihe Besucher der documenta einfach nur konsumieren. Ich gebe zu, dass es auch mir oft schwerfällt, das Gesehene zu verstehen. Damit es nicht so bleibt, dafür sind die drei Kerne in der Schachtel da. Denn sie stehen für Betrachten, Denken und Handeln, und dieser Aufruf liegt dem Künstler besonders am Herzen.
Wer an weiteren Informationen interessiert ist, kann Hans-Ulrich Hellmann über seine Website www.oberweseratelier.com erreichen. (Sf)