Grenzen

Nur selten schreibe ich, weil ich das muss (oder wenigstens soll). Meistens fließen die Worte aus meinem Kopf in die Tastatur, und das ist ein Prozess, denn ich nur wenig steuern kann, noch aufhalten. Doch heute kommen die Gedanken aufgrund einer Einladung von Janett, der „Teilzeitreisenden“. Sie rief auf ihrem Blog zu dieser Blogparade anlässlich des 30jährigen Jubiläums des deutschen Mauerfalls auf.

Unüberwindlich

Dabei fällt es mir schwer, etwas über die deutsche Grenze zu schreiben. Mangels Verwandtschaft im Osten hatte ich lange Zeit keinerlei Grund rüber zu fahren. Die gefährlichen Grenzanlagen wollte ich nicht unbedingt aus der Nähe beäugen, und der als schikanös empfundene Zwangsumtausch tat ein Übriges. Beruflicherseits war das dann zeitweise anders, wenngleich ich nur die Transitstrecke von Helmstedt nach Marienborn (Westberlin) befahren habe. Ein Verlassen derselben kam aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, aber zwei Dinge sind mir von damals noch lebhaft in Erinnerung. Das eine waren natürlich die Intershops, in denen man begrenzte Mengen von hochprozentigem Alkohol vergleichsweise günstig erwerben konnte. Und das andere waren die endlosen Sicherheitseinrichtungen und die strengen Blicke der Grenzer, verbunden mit den Stempeln im Reisepass und dem mulmigen Gefühl, ob man nicht doch etwas falsch gemacht haben könnte.

Aber am Ende war dann die Ehrfurcht vor den Menschen vorherrschend, die unter massiver Gefahr für Leib und Leben versucht hatten, diese unüberwindliche Grenze dennoch zu überwinden. Nicht alle haben es geschafft, aber es war letztlich doch möglich, egal was man uns erzählen wollte.

Kurz nach der Grenzöffnung ergab sich beruflich eine Änderung für mich, weshalb ich dann doch öfters im Bereich der ehemaligen DDR gearbeitet habe. Zwar war es somit kein physischer Grenzübertritt mehr, aber immer noch ein gedanklicher. „Andere Länder – andere Sitten“, dieser Spruch galt lange Zeit auch für die beiden deutschen Hälften. Manchmal war es das fehlende Verständnis für die Getränkewünsche eines Gastes – Tonic Water gab es, Bitter Lemon jedoch auch nach Monaten des hartnäckigen Nachfragens nicht. „Das entscheidet der Chef“ schien gleichermaßen Rechtfertigung und zum Abwimmeln der seltsamen Wünsche des Gastes tauglich zu sein.

Dann war da die wörtliche Beantwortung einer Frage nach dem Unterschied zwischen den beiden Plattformen des Ostberliner Fernsehturms, wo es offenbar als völlig ausreichend angesehen wurde, zu antworten „der Unterschied sind 5 Mark und dass Sie sich da hinten anstellen müssen“. Bis heute war ich nicht dort oben.

Und das überaus logische Konzept am Völkerschlachtdenkmal ist mir noch in Erinnerung. Zunächst folgte ich den Wegweisern über schier endlose Treppen bis zu einem Museumseingang zu gelangen. Völlig außer Atem erfuhr ich dann, dass man die Karten selbstverständlich nicht hier oben kaufen könne, denn dies sei ja nur der Eingang. Die Kasse sei unten am Kiosk. Unnötig zu erwähnen, dass ich auch diesen Weg mitnichten ein zweites mal machte. Logisch ist das Konzept allerdings bestenfalls um zu verhindern, unnötig viele Besucher beaufsichtigen zu müssen.

Dass Willy Brands Vision des Zusammenwachsens auch 30 Jahre danach noch nicht ganz in Erfüllung gegangen ist, erscheint mir aufgrund solcher Erlebnisse nur zum Teil verwunderlich. Abgesehen von der erwähnten begrenzten beruflichen Tätigkeit gab und gibt es für mich immer noch keinen Grund, häufiger „rüber“ zu fahren.

Norrut – Nordwärts

Statt den anderen Teil Deutschlands zu bereisen, zog es mich schon Anfang der 80er Jahre in den Norden. Eine 4wöchige Tour mit drei Freunden zeigte mir ein Land, das vielleicht für den Rest meines Lebens ein Traum hätte bleiben können. Ich sage „ein Land“, weil aus meiner Sicht die Unterschiede von Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland weit weniger schwer wiegen als die Gemeinsamkeiten (abgesehen von der Sprache, da hat Finnland seine eigene Geschichte).

Es hat lange gedauert, bis ein Urlaub dort möglich wurde, und das hatte nun wirklich nichts mit der politischen Situation zu tun. Doch im Laufe der Zeit fand die ganze Familie Gefallen an Skandinavien, und so sind wir in den letzten zwei Jahrzehnten kaum noch woanders gewesen.

Auch hier gibt es Grenzen zu überwinden, aber sie sind im Vergleich zum deutschen Selbstverständnis doch eher harmlos. Da ist zum einen die Ostsee. Der Landweg über Flensburg, Dänemark und diverse Brücken nach Schweden ist machbar, aber länger. Zwei der Brücken kosten Geld, ebenso die verschiedenen Fährrouten. Aber in Skandinavien wiederum fällt vielleicht gerade das Fehlen von Grenzen besonders auf. Kaum ein Grundstück ist eingezäunt, selbst in Ferienhaussiedlungen findet man selten mehr als eine Reihe hübscher Steine. Manchmal fällt das Grundstück auch nur dadurch auf, dass man plötzlich vor einem gepflegtem Rasenstück steht. Auch hier darf man annehmen, dass die Grenze in den Köpfen existiert oder erst entsteht, denn sie wird respektiert, einfach so.

Und wo die Andersartigkeit damals im Osten Deutschlands auf mich eher abschreckend wirkte, war die skandinavische Offenheit von Anfang an ein gelebter Willkommensgruß. Und so ist der Plan, eines schönen Tages ganz nach Schweden zu ziehen, vielleicht gar nicht so verwunderlich.

Ja, jag vill leva, jag vill dö i Norden!

Ein Gedanke zu „Grenzen“

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