Also ich hasse ja die Wüste. Zwar bin ich häufiger und begeisterter Besucher von Michael Martins Vorträgen, aber selbst hinfahren und mich in der unendlichen Trockenheit auch noch zu verirren, das kommt gar nicht in Frage. Am Ende müsste ich vielleicht noch auf einem Kamel reiten. Mein Magen grummelt schon bei dem Gedanken daran ordentlich herum.
Genauso hasse ich Bleiwüsten. Das sind Massen an Buchstaben, Sandkörnern gleich einer am Anderen in Texten, die in’s Endlose gedehnt ohne Punkt und Komma lange lange nicht aufhören wollen und sich – noch dazu ohne einen einzigen Absatz – wieder und wieder verlängern, ohne dass auch nur von Ferne eines dieser erlösenden Satzzeichen zu sehen wäre, das mich Atem holen lässt, während ich dem verblassenden Pfad der Bedeutung zu folgen versuche, sei es nun ein Fragezeichen, das Ausrufungszeichen oder, Himmel, der erlösende Punkt; nicht mal ein Semikolon kreuzt meinen Weg durch die endlose Wüste, und schon verliert sich mein Hirn zwischen den Buchstaben und ich sinke auf den Boden der Tatsachen hernieder. Endlich! Erlösung!
So ähnlich, nur noch länger, erging es mir bei dem Text, über den ich via Twitter fast zufällig gestolpert bin. Doch verblüffenderweise habe ich keineswegs den Faden verloren. Statt dessen kämpfte ich mich tapfer weiter durch die Geschichte, die mir – wenngleich fast ohne Absätze – dennoch mit klar erkennbarer Syntax und Semantik die Geschichte eines inoffiziellen weiblichen Dorfoberhauptes erzählte, und was man (oder hier besser „frau“) mit so einem Drachen alles erleben kann. Eine kleine Anekdote nur, kaum unterbrochen von zwei „Returns“ des nicht mehr vorhandenen Wagens (denn „return“ ist die Kurzform des englischen „carriage return“, dem „Wagenrücklauf“ der alten Schreibmaschine, Gott hab sie selig, dieses Lärmgerät). Und dennoch, als ich am Ende in ein herzliches Lachen einstimmte, fühlte ich zusammen mit der Autorin ihren Schmerz, aber auch zugleich ihre Befreiung, nachdem sie sich die Sache von der Seele geschrieben hatte.
Die Geschichte? Feste feiern. Die Seite übrigens trägt ihren Titel zu Recht, und der Leser tut gut daran, dem Vorsatz zu folgen: Read on, my Dear, read on. Es lohnt sich.
Update 2022: Zu meinem großen Bedauern ist die Seite inzwischen nicht mehr verfügbar.
Der Hintergrund ist ein sehr trauriger: Nach meinen Recherchen handelte es sich um Marie Sophie Hingst, und sie hat offenbar in ihren Geschichten sehr viel Phantasie bewiesen. Doch dann kam heraus, dass dies alles erfunden war. Ich weiß nicht genau, warum daraus so ein Problem gemacht wurde, erfundene Geschichten sind schließlich nichts grundlegend Neues. Ich jedenfalls werde den obigen Artikel nicht löschen, und ich kann auch nicht sagen, dass ich ihr „auf den Leim“ gegangen wäre, denn – ganz ehrlich – es ist mir egal, ob sie gelogen hat oder nicht. Die wenigen Geschichten, die ich gelesen habe, haben mir einfach gefallen.
Manche schaffen es so, mit Vielem nichst zu „sagen“. ;-)