Kunst im Kloster (81)

Vielleicht ist das ehemalige Kloster Breitenau in Guxhagen einer der wichtigsten documenta-Standorte in diesem Jahr. Alle teilnehmenden Künstler haben sich im Vorfeld ihrer Arbeiten mit dieser Gedenkstätte befasst, sie besucht und — so hoffte man — sich davon inspirieren lassen. Aber was macht einen einzelnen Standort zu so etwas Besonderem, dass selbst Individualisten, wie es Künstler naturgemäß sind, sich auf so eine Aktion einlassen?

Benediktinerkloster, Arbeitshaus, Konzentrations- und Straflager, letztlich dann Gedenkstätte und eine Klinik für psychisch Kranke: Dieses Gebäude hätte viel zu erzählen, wenn die Mauern reden könnten. Die Geschichte, soweit sie dokumentiert ist, spricht eine eigene Sprache. Vielleicht lässt sich eine Verbindung zwischen dieser Geschichte und der Gegenwartskunst über das d13-Motto „Zerstörung und Wiederaufbau“ (Collapse and Recovery) finden.

Was als Kloster erbaut wurde, sicher mit dem Ziel, den Menschen und Gott zu dienen, wurde während der Zeit des Dritten Reiches in’s Gegenteil verkehrt. Die aktuelle Nutzung als psychiatrische Klinik schlägt wieder den Bogen zum Barmherzigen und könnte die bewusst herbeigeführten Qualen während der Nazi-Zeit kompensieren helfen, wenngleich nicht ungeschehen machen. Zunächst beginnt die Geschichte dieses Bauwerkes also deutlich vor der ersten documenta, allerdings wurde Breitenau noch bis Ende des Jahres 1973 als Internierungs- und Straflager genutzt. Es spricht für eine ausgesprochen sensible Auswahl der Breitenau als d13-Standort, denn dies alles macht sehr nachdenklich.

Bamboo Forest

Sensibel ist auch das Arrangement aus extrem filigranen Gläsern, die Judith Hopf zu dünnen hohen Stangen zusammengesetzt hat, dass sie wie Bambusstäbe wirken. Das weckt die Assoziation zu ebenso filigranen Denkprozessen der Menschen, die über die Jahre hier Gutes wie Böses erlebt haben. Diesen Raum betritt man nicht mit kräftigen, steif-militärischen Schritten, sondern zurückhaltend, vorsichtig, gewissermaßen auf leisen Sohlen. Erst recht, wenn Gunnar Richter einen Abriss der Geschichte in einfühlsamer, aber mitnichten emotionsloser Weise erläutert hat. Eine Art kollektives Schamgefühl stellt sich fast zwangsläufig ein, dem auch die oft beanstandete Übersättigung mit unserer unrühmlichen Geschichte wenig anhaben kann. Man bedauert, was geschehen ist, aber dennoch, es war, was mich betrifft, vor meiner Zeit.

Automatisch atmet man flacher, spricht kaum noch, so als ob jeder Lufthauch die Installation ebenso zerstören könnte wie die Mystik der Situation. Würden wir doch so vorsichtig mit unseren Mitmenschen umgehen, anstatt allzu häufig mit polternder Stimme und raumgreifender Gestik in deren Privatsphäre einzudringen. Solche Gedanken kommen mir in dieser Umgebung, und unweigerlich frage ich mich, ob Kunst vielleicht auch einen Erziehungseffekt haben kann.

Auf der Homepage der Gedenkstätte Breitenau gibt es weitere Informationen. Die Gedenkstätte selbst kann auch nach der documenta weiterhin besucht werden.

Weitere Kunstwerke

Ein Kunstwerk, das sich ebenfalls mit Breitenau beschäftigt, trägt die Nummer 148. Der Pavillon (ohne Eintrittskartenkontrolle!) steht von der Orangerie aus gesehen schräg links neben der Karlswiese.

Hier wird eine Diaschau (Bild und Ton) von Gunnar Richter gezeigt. Der Titel lautet Der Umgang mit der nationalsozialistischen Zeit — Eine lokale Studie über ein Verbrechen der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Methoden des Recherchierens 1981/2012. Die 100 Dias werden mit einer Dauer von 35 Minuten angegeben. Zusätzlich hängen Karten und Dokumente mit ergänzenden Informationen an den Innenwänden des Pavillons. Es sind auch einige Sitzplätze vorhanden.

Ebenso Clemens von Wedemeyer: Sein Film „Muster“ („Rushes“) ist ein experimentelles Werk in drei Akten, dessen Schauplatz ebenfalls das ehemalige Kloster Breitenau ist. Dieses Werk (Nr. 184) ist im Nordflügel des Kasseler Hauptbahnhofes zu sehen, kurz vor dem „Schrotthaufen“ (Momentary Monument IV). Die Installation zeigt auf drei in einem Dreieck angeordneten Projektionsflächen jeweils parallel verschiedene Ansichten desselben Objektes.

Im „Brain“ in der Rotunda des Fridericianums zeigt Judith Hopf ein weiteres Werk. Es handelt sich um eine Reihe von Plastiken aus Verpackungsmaterial heutiger Produkte.

Anreise

Die Kunst in Breitenau ist wahrhaftig schwer zu finden, und wenn nicht das dezente hellbraune Hinweisschild an der Laterne gewesen wäre, hätte ich wohl heute noch nichts davon gewusst. Parkplätze sind auch nicht gerade zahlreich vorhanden, aber wer ein paar Meter Fußweg nicht scheut, verbindet den Besuch vielleicht mit einem Einkauf gegenüber.

Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgt ab Kassel mit RegioTram oder Cantus RT5 Richtung Melsungen, Bad Hersfeld oder Fulda bis zum Bahnhof Guxhagen. Dann läuft man die Bahnhofsstraße und Brückenstraße bergab über die Fuldabrücke und sieht dann schon linksseitig das alte Bauwerk. Der Eingang ist von hier aus auf der abgewandten Seite.

Mit dem Auto fährt man die A7 (sobald die Baustelle beendet ist) bis Guxhagen und biegt von Kassel kommend nach der Ausfahrt rechts ab, fährt an Raststätte und McDonalds vorbei bis zur 2. Ampelkreuzung und sieht dann links das ehemalige Kloster. (Sf)

Parkplatz: Kirchweg 7a, Guxhagen-Breitenau
Geo: Breitenau N51.201628 E9.476357

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