Ein Fotoblog, in dem nichts über den Goldenen Schnitt gesagt wird, ist sicher kein richtiges Fotoblog. Früher oder später musste es also auch zu so einem Artikel kommen. Ich habe ihn schon vor längerer Zeit geschrieben und im Kalender immer wieder verschoben. Nun ist er offenbar aufgetaucht, weil ich gerade nichts anderes für Euch habe. Nun aber zum Thema.
Über den Goldenen Schnitt ist seit dem Altertum viel geschrieben worden, aber wer glaubt, dass Fotofreunde und Fotofreundinnen sich darüber einig wären, was dieser Begriff tatsächlich bedeutet, der hat schon verloren.
Manchmal glaube ich, mit dem Goldenen Schnitt ist es wie mit dem Tempotaschentuch. Vor mir liegt eine Packung „Taschentücher supersoft“, also keine „Tempos“. Dennoch ist der Markenbegriff „Tempo“ zu einem Allgemeinbegriff für Papiertaschentücher geworden. Ebenso ging es der Marke „nutella“, die heute vom Volksmund ganz allgemein für jeden beliebigen Nuss-Nougat-Brotaufstrich herhalten muss. So wird auch der Begriff „Goldener Schnitt“ oft für eine fast beliebige Aufteilung des Fotos verwendet, was seiner eigentlichen Bedeutung nicht mehr entspricht.
Man hat es ja auch schwer. Da reden die einen von Goldenem Schnitt, die anderen von der Drittelregel. Wieder anderen reicht es, das Motiv „aus der Mitte“ heraus zu holen, und selbst in irgendwelche Ecken gequetschte Hauptelemente wollte mir schon jemand als Goldenen Schnitt verkaufen.
Goldener Schnitt
Ich habe diese Definition gelernt: „Die kleinere Strecke verhält sich zur größeren wie die größere zur Gesamtstrecke.“ Das ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, die mathematische Formel in Worte zu fassen. Aber was bedeutet das nun fotografisch?
Dabei ist es doch so einfach, Wikipedia sei Dank:
Mathematisch ist das allerdings nicht ganz so einfach auszurechnen (da kommen „ziemlich“ viele Stellen nach dem Komma heraus), aber dankenswerterweise haben das viele Leute schon vor uns getan. Die in obiger Grafik eingetragenen Näherungswerte reichen von der Genauigkeit her für unsere Zwecke völlig aus. Wer jetzt einwenden will, nein, das sei doch Null Komma Sechs Eins Acht, der mag sich vielleicht in einer stillen Stunde mal wieder mit Prozentrechnung beschäftigen.
Wenn man noch ein wenig mit den Zahlen spielt, kommt man auf eine weitere Näherung, die immer noch genau genug ist, nämlich 3/8 (37,5 %) und 5/8 (62,5 %). Dies ist mein persönlicher Favorit, weil meine Camera ein Viertel-Raster im Sucher einblenden kann. Und da Achtel immer genau in der Mitte zwischen Vierteln liegen, lassen sich 3/8 und 5/8 recht einfach in der Mitte des passenden Kastens ausmachen.
Die Genauigkeit reicht schon deshalb vollkommen aus, da üblicherweise kein Motiv nur ein Pixel groß ist, sondern in aller Regel einen gewissen Bereich des Bildes abdeckt.
Drittelregel, Viertelregel
Bei der Drittelregel kann man ausnahmsweise mal wirklich sagen „der Name ist Programm“. Hier wird das Bild einfach horizontal und vertikal in drei gleiche Bereiche eingeteilt, und die jeweiligen Schnittpunkte sind dann die bildgestalterisch relevanten Punkte.
Auch von einer Viertelregel habe ich schon gehört. Ob das nun etwas offizielles ist oder nicht, lasse ich jetzt mal offen. Es ist ja sowieso alles Geschmackssache.
Als kleiner Vorgriff auf die bald folgende Serie über Fotoclubs und Communities sei gesagt, dass den meisten wohl schon das hier Gesagte eine Nummer zu hoch ist, obwohl ich nun wirklich nicht besonders in’s Detail gegangen bin. Und was bleibt bei Otto-Normal-Bildzeitungs-Leser im Kopf?
Der Goldene Schnitt ist sowas wie die Drittelregel.
Und noch weiter vereinfachend:
Goldener Schnitt ist gleich Drittelregel
Das ist zwar falsch, aber darüber kann man echt lange diskutieren …
Aber immerhin haben alle diese abweichenden Interpretationen (soweit mir bekannt) eines gemeinsam: Sie definieren den Goldenen Schnitt irgendwo im Foto, aber definitiv nicht im Zentrum! Na, das ist doch auch schon was.