Der Wolf im Schafspelz

Mein selbstgegebener Name „Sehfahrer“ bringt mich oft in die Verlegenheit erklären zu müssen, dass ich eben kein „Seefahrer“ bin, auch wenn ich eine gewisse Affinität zur See nicht leugnen kann. So ist es vielleicht gar nicht verwunderlich, dass mich im vergangenen Jahr ein Schriftsteller ansprach, ob ich nicht sein Buch „Seefahrten – Aspekte“ rezensieren wolle, wo ich doch schon so einen passenden Namen trüge.

Es ging eine gewisse Faszination von meinem Gegenüber aus. Ein freundlicher älterer Herr, höflich, korrekt und ernst, dennoch stets mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht, das auch jetzt, nach knapp einem Jahr der Bekanntschaft, nicht verschwunden ist. Was wundert es, dass ich mit ihm schnell vertraut wurde. Er trägt auch nach Jahren in Nordhessen wohnend immer noch seinen Berliner Dialekt auf den Lippen, und der Schalk im Nacken kämpft ständig mit dem erwünschten Image des distinguierten Herrn. Doch letztlich gewinnt er, der Schalk.

Waldformationen

Waldformationen

Wolfgang Schwerdt oder auch @schwerdtwolf, wie er bei Twitter heißt, ist eine vielschichtige Persönlichkeit. In einem Moment still und versunken in seinen Gedanken, sprudelt es Sekunden später aus ihm heraus wie aus einem überquellenden Brunnen. Ein Wortbrunnen, eine Wortfontaine, in der Tat, solche Begriffe würden ihn einigermaßen charakterisieren, doch es bleiben Worthülsen. Man muss ihn erlebt haben. Das übergroße Mitteilungsbedürfnis erklärt sicher auch seine Berufswahl, die — wie ich glaube — für ihn zugleich auch Berufung ist. Er ist Journalist, Schriftsteller, Buchautor, Geschichtenerzähler, Wanderführer, zuguterletzt aber immer auch Mensch. Und er gibt mir das Gefühl, auch selbst Mensch zu sein, Mensch sein zu dürfen.

Und es juckt ihn, über das, was er sieht und erfährt, nicht nur zu reden, sondern auch zu schreiben. Ein ganzer Stapel Bücher liegt auf seinem Wohnzimmertisch, und während wir unser Gespräch führen, blättert er immer wieder darin und trägt unermüdlich vor. Geschichte und die Seefahrt sind seine Spezialgebiete, und während aus der Geschichte schnell Geschichten werden, vergeht die Zeit wie im Fluge. Kaum eine Frage, die zu einer einfachen oder kurzen Antwort führt.

Da ist „Durch das Land der wilden Holl“ (bei Amazon als eBook oder Taschenbuch, Rezension in der NHR), eines seiner jüngsten Werke, ein Reiseführer der besonderen Art. In lockerer und erzählerischer Form führt Schwerdt uns durch das Vockeröder Land, in dem laut den Gebrüder Grimm dereinst Frau Holle zu hause war.

Grasbläser

Grasbläser

Über seine Pläne redet er gern und viel, und während seine Begeisterung überschäumt, entsteht auch in mir eine Faszination dafür. Ein aktuelles Projekt beschäftigt sich wieder einmal mit den Sagen aus der Region, dem Holle-Land. Die federbettenschüttelnde Frau Holle aus Grimms Märchenwelt wird hier als eine Überfigur mit fast menschlichen Schwächen dargestellt. Das verleiht ihr eine charakterliche Tiefe, die in den Märchen selbst kaum zum Ausdruck kommen konnte. Auch Schwerdts zweite Lieblingswesen, die Katzen, kommen darin vor, soviel sei bereits verraten. Wir werden geheimnisvolle Orte besuchen, doch sie zu finden bleibt uns selbst vorbehalten. Denn die Geschichten enthalten Andeutungen, seltsam wirkende Bilder und versteckte Hinweise. Nur der Eingeweihte, der wirklich erfahrene Sucher, wird diese Orte dann auch finden können.

Wolfgang Schwerdt nimmt die Dinge, wie sie sind. Aber er regt sich ständig über die Ignoranz seiner Mitmenschen auf, über Kleingeistigkeit und dieses unsägliche Scheuklappendenken. Das treibt ihm Zornesfalten in das Gesicht und zeichnet ein Bild von einem Menschen mit einem Ziel, mit einer Vision, der verzweifelt darauf hofft, diese eines Tages doch noch verwirklichen zu können. Immer wieder sucht er Grenzen, will neues erkunden, das er dann aufgrund der Erfahrung in seine Geschichten einbauen kann. Wie der obige Versuch, einem Grashalm ein verzweifeltes Quietschen zu entlocken. Welche Figur wohl daraus entstehen wird?

Doch auch wenn es wirkt, als ob er vor Wut zu platzen droht, gewinnt kurz darauf der Schalk wieder die Oberhand, verkehrt sich der Zorn in den berühmten Berliner Witz, der aufdeckt, erkennt, verurteilt, kielholt, wiederbelebt und versöhnt, und das alles mit einem Satz, einem Wort, einem Augenzwinkern.

Wolfgang Schwerdt: Durch das Land der wilden Holl.
Expeditionen durch ein Abenteuerland.
Taschenbuch: CreateSpace Independent Publishing Platform 2013, 208 Seiten.
Kindle Edition: Amazon Media EU S.à r.l.
 

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