The End of Summer (55)

Objekte hinter Glas, Blätter auf dem Boden — die Interaktion mit dem Betrachter ist geradezu unvermeidlich — halb versteckt hinter Wänden, Video- und Klanginstallationen … hier kommt alles zusammen, was man auf einer Kunstausstellung erwartet. Nimmt man die Besucher hinzu, wäre sogar die „Performance“ als Kunstform mit dabei. Es wirkt fast so als ob die Künstler versucht hätten, es allen recht zu machen. Und doch zeigen sich auch hier wieder vereinzelte Elemente, die nachdenklich machen und Überraschungen beinhalten.

Auf den ersten Blick ist The End of Summer von Haris Epaminonda (Zypern) und Daniel Gustav Cramer (Deutschland) eine Zusammenstellung zusammenhangloser Objekte, locker arrangiert und verteilt über drei Stockwerke eines ehemaligen Bürogebäudes am Hauptbahnhof. Ein Kalenderblatt, auf dem einfach nur „July“ steht. Eine Stange, die an der Wand lehnt, von einer Lampe bestrahlt, ihr Schatten an der Wand bildet ein spitz zulaufendes Dreieck, das den Blick nach oben zu richten scheint.

Überhaupt ist in dem ganzen Haus das Licht sehr wichtig. Das Arrangement der Objekte in Verbindung mit dem Licht lässt jeweils ein ganz eigenes emotionales Kleinklima entstehen. Das Blitzlichtverbot seitens der d13-Leitung ist hier eher Segen als Fluch, denn wenn hunderte vollautomatikgesteuerter Hobbyknipser wie eine wilde Horde hier durch rennen würden, wäre es mit dem Kunstgenuss schnell vorbei. Diese Objekte in hellem Licht und schattenfreier Beleuchtung würden ihre Wirkung völlig verlieren. Hier ist sogar das Arrangement Kunst, zumindest aber entscheidender Bestandteil der Kunst.

Geheimnisse

Und dann immer diese Bücher. Halb versteckt hinter Säulen oder Wänden, fast verschämt hervorlugend. Auch gerahmte Bilder findet man so vor, fast als ob Buch und Bild Verstecken spielen würden. Einige liegen auch einfach so herum, sind hellbraun gebunden und wenige sogar aufgeschlagen, andere schwarz. Ich wage nicht, eines anzufassen oder gar aufzuklappen. Zu filigran, zu gezielt erscheint mir das Arrangement, in dem sicher jeder Abstand und jeder Winkel seine Bedeutung hat. Vielleicht ist das auch nicht so, vielleicht endet hier die Kunst und beginnt die Willkür, vielleicht nur ein „legen Sie das Buch da drauf“, wer kann das wissen? Ich muss schon aufpassen, dass ich mein eigenes Moleskine nicht irgendwo hinlege. Es würde sich zwischen Seinesgleichen schlicht verlieren.

Dunkelkammer

Durch eine Tür gelange ich in einen völlig dunklen Raum, nur erhellt durch Videoinstallationen. Ich taste mich vor, bewege mich in eine Ecke des Raumes gegenüber dem hellen Fleck des Videos. Eine Ecke, die Sicherheit bietet. Ich lasse mir Zeit, damit meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen können. Nach einiger Zeit nehme ich immer mehr wahr, sehe die anderen Besucher, wie sie unbeholfen in die Dunkelheit tapsen, die Arme zur Sicherheit ausgestreckt. So wie ich vor wenigen Minuten.

Auch die Camera sieht mehr und zeichnet wieder ein ganz anderes Bild als das menschliche Auge von der Dunkelheit, die für mich nun keine Dunkelheit mehr ist. Fast in normaler Helligkeit erscheinen die Räume vor mir, und ich bewege mich mit der üblichen Sicherheit des Sehenden auf einen Kasten zu, lege mein Notizbuch darauf und beginne im Stockdunkeln meine Notizen zu schreiben. Ein eiliger Gast tastet sich in meine Richtung durch diesen Äther, der für mich nun fast taghell erscheint. Seine Unsicherheit steht in krassem Gegensatz zu der Sicherheit, mit der ich mich durch diese Nicht-Dunkelheit bewege, dass ich ihm zurufen möchte: „Mach langsam, lass dir Zeit, das wird schon!“ Ein aufmerksamer Beobachter sieht mehr von der Welt.

Bei all diesen Empfindungen geraten die seltsamen Videos und die Klänge fast in den Hintergrund. Eine Palme, Schüsseln, eine Skulptur und ein Berggipfel in den Wolken. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll, aber dieser „Dark Room“ hat mir eine interessante Erfahrung beschert. Auch so kann Kunst wirken.

Sehende Justitia

In einer anderen, wieder etwas helleren Ecke, steht eine kleine Balkenwaage auf einem Podest, die Justitias Waage sein könnte. Dahinter hängt in einem Rahmen eine gezeichnete griechische Statue, eine Frau, deren Oberkörper nackt ist und die die Arme ausgestreckt vor sich hält, mit leeren Händen. Und doch ist es nicht Justitia, denn sie trägt weder eine Augenbinde noch passen ihre Arme zu Waage und Schwert.

Eine weitere Bildsequenz zeigt eine Hütte am See. Eine Frau steigt aus dem See die Treppe zur Hütte hinauf, bis sie darin verschwindet. Doch die Zeit läuft rückwärts, man muss die Sequenz von rechts nach links betrachten. Eine Assoziation zu Marcel Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend“? UPDATE (18.10.2014): Es scheint, mir ist hier ein Fehler unterlaufen. Das Original ist wohl eher Woman Walking Downstairs von Eadweard Muybridge.

Neben vielen weiteren Werken, die ich hier nicht alle beschreiben kann, stehen (liegen?) auf dem ansonsten leeren Dachboden noch einige Kugeln, ca. 1 m im Durchmesser. So richtig klar ist mir das leider auch nicht, daher konsultiere ich zum Abschluss doch nochmal den Katalog. Das Begleitbuch schreibt: „In ihrem imaginären Museum zeigen Epaminonda und Cramer fotografische Dokumente, vorgefundene Bilder, Gegenstände und Artefakte aus verschiedenen Kulturen; in Gruppen zusammengestellt oder über die Räume verstreut bilden sie durch formale, ästhetische und konzeptuelle Assoziationen eine suggestiv mäandernde Erzählung.“ Jetzt ist wohl alles klar.

Geo: N51.31984, E9.48769 (neben dem Kulturparkplatz hinter dem Hauptbahnhof)

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