Der Mensch als Gesamtkunstwerk

Kaum einmal hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich auf die documenta freuen würde! Ich, der bekennende Kunstbanause, dessen Kunstverständnis sich in dem Spruch „Kunst kommt von Können“ erschöpfte? Unmöglich!

Und doch, irgendwann muss es wohl passiert sein, ich weiß selbst nicht genau, wann. Vielleicht ist dies aber auch nur ein (Alb-) Traum, und ich erwache irgendwann schweißgebadet und schäme mich, dass ich „Kunst gucken“ gegangen bin. Sicher bin ich mir auch heute noch nicht, dass ich alles toll finde oder gar verstehe. Im Gegenteil, viele Dinge erhalten für mich erst dann einen (Pseudo-) Sinn, wenn ich die Gedanken des Künstlers erfahre. Und manche trotzdem nicht.

Aber wenn es mal dabei bliebe, dass ich die ausgestellten und aufgebauten Kunstwerke betrachte und fotografiere! Im Gegenteil, wie langweilig wäre die documenta ohne ihre Besucher? Marcus und Wenyan machten mich mal mit ihren chinesischen Eltern bekannt. Wir machten alle zusammen eine Tour durch den Bergpark Wilhelmshöhe, und vor jeder Sehenswürdigkeit sollte ich Fotos machen. Aber sie haben streng darauf geachtet, dass immer auch die Familie mit auf dem Bild war. Wenyan erklärte mir, dass nach asiatischem Brauch ein Foto nur dann ein gutes Foto sein könne, wenn Menschen mit auf dem Bild sind. Andernfalls sei es quasi ein „totes Foto“ (auch eine interessante Definition, siehe  dazu auch Persönliches Weiterkommen).

Ich fand diese Ansicht anfangs etwas verwirrend, habe mich dieser im Laufe der Zeit jedoch immer mehr angenähert. Und nun stehe ich hier auf der documenta und achte darauf, dass ich die künstlichen Kunstwerke stets zusammen mit den natürlichen Kunstwerken ablichte. Notfalls warte ich darauf, dass die Leute unbewusst die richtige Pose einnehmen. So entstand zum Beispiel dieses Foto von „Doing Nothing Garden“ (Song Dong, China).

Doing Nothing

Und in der Tat muss man oft einfach nichts tun und abwarten, bis eine Szene „richtig“ wird. Laotses „action through inaction“. Kunst soll zum Nachdenken anregen. Und das tut sie bereits, indem sie einfach nur „ist“.

„Doing Nothing Garden“, Song Dong (China)

Geo: ca. N51.308 E9.499

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