Rotbart lässt mich nicht los

Wanfried

Wanfried

Meine Reise nach Skåne endete wie Ihr wisst fast mit einem Desaster, da mich der alte Seebär so schmählich auf’s Glatteis geführt hatte. Zwar ist es sehr angenehm in Schweden, aber irgendwann musste ich leider wieder nach Hause. Ich nahm also die nächste Fähre zurück in die Heimat. Als wäre Magie im Spiel gewesen, verblasste mit zunehmender Entfernung von dem Land im Norden meine Erinnerung. Als mich schließlich meine Arbeit wieder fest im Griff hatte, dachte ich kaum noch an die fantastische Episode mit den beiden Katzen. Fast wirkte es im Nachhinein wie ein Traum, denn wer bekommt schon von einer Katze Geschichten erzählt? Doch einige Monate später holte mich die Geschichte tatsächlich wieder ein.

Es war an einem der letzten schönen Spätsommertage. Die hierzulande „Altweibersommer“ genannte Jahreszeit zwischen Sommer und Herbst, die die Amerikaner „Indian Summer“ nennen, hatte sich nochmal mächtig in’s Zeug gelegt. Ich fuhr mit der Camera bewaffnet zu dem kleinen Dorf Wanfried in Nordhessen. Wolfgang hatte diesen Ausflug mit den Worten vorgeschlagen, ich sei doch immer auf der Suche nach interessanten Motiven. Begeistert sagte ich zu. Die Jacken konnten wir im Auto lassen, es war drückend heiß. Anstatt aber nun gemütlich zum Hafen zu laufen, gerieten wir in ein Dorffest. Alle waren auf den Beinen, Groß und Klein, Hund und Pferd, jedoch keine Katze weit und breit. Die hatten sich wohl alle in irgendeinen Unterschlupf zurückgezogen. Kann man verstehen.

Der kleine Hafen bot einen chaotischen Anblick. Menschen über Menschen! Wir lagerten ein Stück Flussaufwärts am Ufer und verbrachten die Wartezeit im Schatten. Nachdem sich die Unruhe etwas gelegt hatte, konnte ich endlich auch ein paar Fotos von der Schlagd machen. Heute wird dieses Fleckchen nur noch als Biergarten genutzt. Ein altes Boot liegt vor Anker, auf dem ein paar Kinder herum turnten. Seetüchtig ist es wohl nicht mehr.

„Da drüben war es, als mich der alte Carlszoon ansprach“, sagte Wolfgang unvermittelt. „So begann meine Arbeit, mit einer simplen Unterhaltung in einem Biergarten.“ Zwar hatte ich schon einige Geschichten über den Kater Rotbart gelesen, aber das Schlüsselerlebnis vom Autor selbst geschildert zu bekommen, hatte schon etwas besonderes an sich. Und wie lebhaft er erzählte! Fast dachte ich, selbst dabei gewesen zu sein, als ich mich dabei ertappte, eine Papierserviette gedankenverloren zwischen den Fingern zu zerbröseln. „Nur gut, dass das nicht die richtige Karte war“ scherzte Wolfgang, der als Historiker natürlich auch ein scharfer Beobachter ist. Von dem Moment an ließ mich die Rotbart-Saga nicht mehr los, auch wenn ich bis heute nicht sicher bin, ob es diesen Carlszoon in Wanfried wirklich gegeben hat.

Meine Erlebnisse in Skåne machten mich jedoch nachdenklich, und so erzählte ich ihm davon. Das ließ ihn zum ersten mal seit diesem Nachmittag schweigsam werden. Offenbar hatte ich da etwas ausgelöst, das seine Gedanken rotieren ließ. Nachdem ich meine eigenen Worte, die ich damals gottseidank sofort niedergeschrieben hatte, nochmal nachgelesen hatte, kamen mir im wahrsten Sinne Zweifel bezüglich meiner Zweifel. Was, wenn es wahr ist? Zwar dokumentieren Katzen ihre Geschichte sicher nicht so, wie wir Menschen es tun, aber auch wir haben früher die Vergangenheit in Erzählungen aufleben lassen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Sicher ist dabei so manches verändert worden, denn wie sagte Gandalf? „Eine gute Geschichte verdient es, ausgeschmückt zu werden“. Vielleicht finden wir ja gemeinsam heraus, wo die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verläuft.

Inzwischen habe ich noch erfahren, dass Wolfgang Schwerdt an einer Überarbeitung der Geschichte sitzt. Einige neue Aspekte haben sich während seiner aufwändigen Recherchen ergeben, die eingearbeitet werden müssen. So entsteht momentan eine Neuauflage von Rotbarts Geschichten. Diese Arbeiten kann der interessierte Leser auf http://rotbartsaga.wordpress.com/ verfolgen.

Und als besonderen Leckerbissen darf ich Euch heute schon eine Doppelseite aus seinem neuen Buch zeigen. Die liebevolle Gestaltung erinnert in ihrer Art sofort an frühere Zeiten, als die Menschen noch mehr Muße hatten und nicht von Termin zu Termin hetzen mussten. Ich frage mich immer, wie er das hinbekommt, neben seiner Arbeit noch so viel Zeit in diese Recherchen und das Buch selbst zu investieren. Aber wer weiß, vielleicht ist auch er gar nicht von dieser Welt? Oder er verbringt sehr viel Zeit in dieser anderen Welt, einer Welt, die nur er sieht und die nur wenige von uns je betreten können. Und dies wäre eine Welt, in der die Zeit anders verläuft, langsamer.

Rotbart-Doppelseite (C) Wolfgang Schwerdt

Rotbart-Doppelseite (C) Wolfgang Schwerdt

 

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