Rückreise

ReservierungAusgerechnet heute muss der Wecker mal wieder verrückt spielen. Irgendwie hat er sich im Laufe der Nacht entschieden, dass es mal wieder an der Zeit ist, nach dem schmählich vermissten DCF-77-Signal zu suchen. Dessen Empfang hatte ich am 1. Tag deaktiviert, weil das hier auf Mallorca offenbar nicht so ganz richtig übertragen oder vom Wecker missverstanden wird. Der Effekt besteht nämlich darin, dass er zwei Stunden mehr anzeigt als der Tag schon alt ist. Dementsprechend blickte ich um 10:03 zufällig auf den Wecker, realisierte, dass wir gerade noch eine halbe Stunde zum Frühstücken hätten und … naja, man sollte den Tag nicht mit Hektik beginnen, ganz besonders nicht hier im Süden. Es war natürlich gerade mal 8:10, als wir im Frühstücksraum ankommen. Ich werde ihn wohl durch einen Computer von Minsky’s Mechanical Men Corp. ersetzen müssen.

Am PoolDas letzte Frühstück   Die Palmwedel schwingen im Winde, die Kronen der Pinienbäume wiegen sich dazu eher gemächlich. Am Himmel ist keine einzige Wolke zu erkennen, nur ein Flugzeug gleitet langsam von Norden her durch das Blau, wohl im Landeanflug auf Palma. Das letzte Frühstück nehmen wir gleich zwei mal ein, beim zweiten mal aber mit deutlich weniger Hektik. Kurz vor dem Ende der offiziellen Frühstückszeit ist es auch im Speisesaal recht still. Draußen waren gestern Abend schon die Vorbereitungen auf die morgen beginnende Hauptsaison im Gange. Zwei Polizisten der Guardia Civil patroullierten über die Strandpromenade, ein Kinderkarussell ist zur Hälfte aufgebaut. Die Einheimischen, die die Touristen zu einem Besuch in ihren Strandbars zu überreden versuchen, wirken fast verständnisvoll, dass wir keine Lust auf einen Cocktail in der Piratenbar haben. Es fühlt sich an wie am Vorabend der Schlacht, bevor die wilde Horde einfällt. Es sind 100, doch sie feiern und lärmen wie 1000. Die Ruhe vor dem Sturm.

Fällt der Abschied schwer?   Mallorca hat seine schönen Seiten, das steht nun außer Zweifel, zu denen die Landschaft, die Leute und auch das Klima mit dem beeindruckend blauen Himmel gehören. Auch spät Abends leuchtet dieser noch in dezentem Dunkelblau, was zusammen mit der künstlichen Beleuchtung eine äußerst interessante Lichtstimmung erzeugt, die selbst lange nach der Blauen Stunde noch anhält. Auch die klare Luft gehört in diese Aufzählung. Trotz des in C’an Picafort vorhandenen Straßenverkehrs weht ein beständiger Wind allen lästigen Duft schnell hinweg, und selbst die Ausdünstungen der gelegentlich vorbei düsenden Zweitakter halten sich nicht lange. Denkt man sich die Touristen weg, wäre die Insel vielleicht sogar eines der schönsten Fleckchen auf Mutter Erde. Doch letztlich machten die Touristen Mallorca auch zu dem, was es jetzt ist. Es wäre sicher interessant, etwas über das Mallorca zu erfahren, wie es vor dem Einfall der Touristenströme war. Reich an Schönheit, aber vermutlich nicht reich an Geld, das erst der Tourismus auf die Insel schwemmte. Doch zu welchem Preis?

Das Internet über WLAN (angeboten von www.mallorcawifi.com) ist auch heute morgen noch down. Selbst wenn ich den Code dafür noch hätte, bekäme ich keine Chance, ihn einzugeben, weil die entsprechende Anmeldeseite nicht geladen werden kann. Für die nächste Auslandsreise muss ich deutlich besser vorsorgen und insbesondere ein größeres Kontingent buchen. Aldi Talk (ein E-Plus-Reseller) bietet hierfür keinen passenden Tarif an, zumal auch in Deutschland der Empfang über das E-Plus-Netz eher suboptimal ist. Hinzu kam die Unwägbarkeit bezüglich der Zuatzkosten.

Warten ist schwer.   Wenn es nichts zu tun gibt außer Warten, wäre die südländische Lässigkeit sicher hilfreich. Diese innere Ruhe zu erlangen, dafür reicht eine Woche Mallorca noch nicht aus. Aber vielleicht später, man wird ja älter und behäbiger. Nicht mal das Internet kann die Zeit verkürzen, und hätte ich nicht am Schreiben so viel Spaß, würde ich vor Langeweile sicher vergehen. So kann ich wenigstens schriftlich darüber lamentieren, was auch etwas Zeitvertreib bedeutet. Sind so die großen Romane der Weltliteratur entstanden, aus Langeweile? Oder waren es eher die langweiligeren?

Am Pool, wo wir die letzte Stunde verbringen, treibt eine Gruppe Berliner ihre Späßchen. Kaum ein Thema, das nicht durch den Kakao gezogen wird, seien es andere Badegäste und ihr zögerliches dann-doch-nicht-in-den-Pool-Wollens, oder die Trink- und Bekleidungsgewohnheiten der mitreisenden Bekannten. Bezüglich der beständigen Umbauarbeiten einiger Gäste ob des weiterziehenden Sonnenbereiches bin ich eher der stille Genießer. Dies betrifft weniger den Anblick der Gäste selbst, mehr den Umstand, wie sie sich Tische und Sonnenschirme immer wieder so zurecht rücken, wie es dem Sonnenstand angemessen ist. Das füllt den Tag aus und vermeidet das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit. Manche davon tun dies alles mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, als ob sie nicht im Urlaub, sondern auf einer Wettkampfveranstaltung seien. Vielleicht ist es das sogar aus der Sicht einiger, der Kampf um den besten Platz, möge er lange benutzbar sein. Und besser als der des Nachbarn.

Frei!Aber auch die längste Wartezeit ist irgendwann vorbei, und so geht es nun auf nach Palma. Schnell noch die All-Inclusive-Handschellen abgestreift — FREI!

Check-In   Wie schon bei der Ankunft festgestellt, ist der Flughafen von Palma deutlich größer als Kassel-Calden. Allein der Wartebereich für unseren Flug entspricht etwa der Hälfte der gesamten Halle in Kassel.

Sehr interessant ist, wie unterschiedlich die Sicherheitsuntersuchung in den beiden Flughäfen war. In Kassel wurde der Computer detailliert untersucht: Zuerst Röntgengerät, dann Funktionsprüfung und schließlich eine ominöse Prüfung auf angebliche „Anhaftungen“, die der Beamte auch auf hartnäckiges Nachfragen nicht weiter erklären wollte. In Palma wiederum interessierte sich niemand für den Computer, dafür wurde der Camerarucksack peinlichst genau unter die Lupe genommen. Zwar blieben auch hier zwei Taschen unbeachtet, aber ich hatte mein Taschenmesser darin gelassen, was dann leider (offiziell) „entsorgt“ werden musste. Meine wiederholten Fragen auf englisch, ob man das Messer nicht separat verpacken und nach Kassel schicken könne, scheiterten scheinbar an der Sprachbarriere. Der separate Versand ist, wie ich später erfuhr, durchaus eine übliche Methode.

Im Nachhinein scheint mir das Sprachenproblem nur vorgeschoben, denn die ersten Anweisungen erfolgten durchaus in klarem Englisch. Mit übergroßer Geschwindigkeit und Hartnäckigkeit für mich unverständliche (spanische?) Worte bereits zu Beginn der Durchsuchung vor sich hinsprudelnd, jedoch nicht wirklich ernsthaft besorgt drängte der prüfende Mitarbeiter auf Schnelligkeit. Das Messer, einmal „entdeckt“ (wahrscheinlich bereits im Röntgengerät identifiziert), wurde sofort zur Entsorgung vorgeschlagen. Interessanterweise geschah dies nun wieder auf englisch. Was er dann auch eifrig zu tun schien, während ich noch wütend meinen Rucksack wieder verschloss. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hier die Eigeninteressen im Vordergrund standen. So ein Leatherman Wave ist ja nicht gerade ein Billig-Teil, und dass er es kannte, bewies sein gezieltes Demonstrieren sehr vieler Funktionen. Scheinbar um mich von der Gefährlichkeit zu überzeugen, klappte er zielstrebig der Reihe nach diverse Teile aus und wieder zusammen, und er erläuterte die Funktion mit kurzen englischen (!) Worten. Er wusste, was er da erbeutet hatte, davon bin ich überzeugt. Und er kommunizierte verständlich, soweit es ihm nützlich erschien. Wundert es, wenn man das Gerede über Korruption hört, die angeblich zunimmt, je weiter südlich man sich befindet? Hierzulande würde man das als Amtsmissbrauch bezeichnen. Kein gutes Aushängeschild für ein Urlaubsland.

Interessant ist aber, dass das Taschenmesser in Kassel an der gleichen Stelle im Handgepäck war und es dort niemand beanstandet hat. Wurde es nicht gefunden oder war es egal? Welches Licht dies auf die Sicherheitsmaßnahmen allgemein wirft, ist wohl offensichtlich und dürfte letztlich der Grund dafür sein, dass bei aller vorgegebenen Gründlichkeit doch gelegentlich Flugzeugentführungen stattfinden. Die Statistik spricht jedenfalls dafür, und es hat leider den Anschein, dass eine vollständige Kontrolle auch gar nicht wirklich beabsichtigt ist. Kontrollen, die nur den Eindruck der Gründlichkeit erwecken, setzen nur den Unerfahrenen unter Druck. Dem Profi jedoch lässt das Prozedere augenscheinlich hinreichend Schlupflöcher offen. Das darf wohl ganz allgemein als Augenwischerei bezeichnet werden. Hierbei rede ich nicht vom Einzelfall, sondern von der Chance, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Wie üblich ist es das letzte Ereignis, das im Gedächtnis bleibt, und sei es auch noch so unbedeutend. Korruption, Dilettantismus und Eigennutz bei Leuten, die eigentlich für die Sicherheit zuständig sind. Das macht sehr nachdenklich.

Kommentar verfassen